Eine "Dichterliebe" für die Ewigkeit

Kölner Stadtanzeiger, 24.07.2006

Heinrich Heine und Robert Schumann verbindet mehr als nur das Sterbejahr 1856
Der Dichter und der Komponist sind sich nur einmal begegnet - mit Folgen.

VON MARKUS SCHWERING

Sie haben nicht nur gemeinsam, dass sie 1856 gestorben sind und die Kulturwelt deshalb heuer ihren 150. Todestag begeht. Vielmehr hat Robert Schumann mehr als 40 Gedichte von Heinrich Heine vertont - so viele wie von keinem anderen Dichter. Vor allem aber: Schumanns Liederkreis opus 24 und der Zyklus "Dichterliebe" opus 48 - ausschließlich nach Heine-Texten - gelten bis heute als Gipfel in der Geschichte des Kunstliedes, mehr noch: als jene kongeniale Ergänzung von Dichtung und Musik, wie sie im deutschen Sprachraum ansonsten nur noch durch die Zusammenarbeit von Hofmannsthal und Strauss belegt ist.

Davon, dass sich da zwei für einander Bestimmte gefunden hätten, kann freilich bei näherem Hinsehen keine Rede sein. Persönlich begegnet sind sie einander ein einziges Mal, im Frühjahr 1828 in München, wo der 18-jährige Schumann während seiner Reise durch den deutschen Süden Station machte. Heine, damals 31, amtierte in der Bayernmetropole als Zeitschriftenredakteur in Diensten des Cotta-Verlages.

Der angehende Komponist hatte sich den Dichter als "mürrischen, menschenfeindlichen Mann" vorgestellt und war angenehm überrascht, als Heine ihm "freundlich, wie ein menschlich griechischer Anakreon" entgegentrat. "Nur um seinen Mund", schrieb Schumann damals in einem Brief, "lag ein bittres ironisches Lächeln über die Kleinigkeiten des Lebens und ein Hohn über die kleinlichen Menschen."

Weiteren Briefberichten zufolge hat man sich bei Schumanns Besuch in München auch über die gemeinsame Begeisterung für Napoleon unterhalten - ein Enthusiasmus, der Folgen haben sollte: Unter Schumanns Heine-Kompositionen findet sich auch die Ballade "Die beiden Grenadiere", die am Schluss - zu den Klängen der Marseillaise - in eine kaum gebrochene Apotheose des französischen Kaisers mündet.

Bei Schumann trug die so angenehm verlaufene Begegnung erst zwölf Jahre später Früchte. Innerhalb eines einzigen Jahres - es ist das berühmte Liederjahr 1840 - entstanden seine sämtlichen Heine-Vertonungen. Gleich nach ihrer Veröffentlichung schickte er die Lieder des Opus 24 an den damals schon lange in Paris lebenden Dichter. Ob dieser sie je in die Hände bekommen hat, ist zweifelhaft. Von der Seine drang kein Echo zu Schumann, und Heine seinerseits beschwerte sich drei Jahre später darüber, er habe kein einziges Freiexemplar seiner in Deutschland komponierten Gedichte erhalten.

Schumanns Begeisterung für Heine nahm nach 1840 rasch ab - wobei dessen abfällige Bemerkungen über den Freund Mendelssohn genauso eine Rolle gespielt haben mögen wie die Unzufriedenheit über seine neuere lyrische Produktion. Tatsächlich hat Schumann ausschließlich Gedichte aus Heines früher Phase bearbeitet: Der Großteil entstammt der "Junge Leiden" überschriebenen Sektion aus dem 1827 publizierten "Buch der Lieder". Der bissige politische Heine blieb außerhalb von Schumanns Gesichtsfeld.

Das hat mit einer für das frühe 19. Jahrhundert bezeichnenden Konstellation zu tun: Schumann ist, obwohl 13 Jahre jünger als der andere, "Romantiker", während Heines dichterische Entwicklung im Zeichen der polemischen Distanzierung von den eigenen romantischen Anfängen steht. Oft ist darauf hingewiesen worden, dass die byronsche "Zerrissenheit" Heines, das Lebensgefühl der "großen Verzweiflung" in Schumanns eigener Befindlichkeit eine Entsprechung gefunden habe. Dabei wurde übersehen, dass Schumanns Zerrissenheit nicht unbedingt diejenige Heines ist. Für den Romantiker besaß immerhin die Kunst das Vermögen, die Widersprüche des realen Lebens aufzulösen. Heine hingegen wandte sich zunehmend gegen diese Verabsolutierung des Ästhetischen, sprach vom "Ende der Kunstperiode".

In seiner Lyrik bediente er sich dementsprechend einer immer virtuoser gehandhabten Technik der ironischen Demaskierung eines zunächst angeschlagenen romantischen Gefühls- und Ausdruckstons. Nun hat Heines Ironie - als rhetorisches Stilmittel das Auseinanderfallen von Gesagtem und Gemeintem - nichts mit jener "romantischen Ironie", der es um "die Vernichtung des Endlichen durch die Idee" geht. Diese Erfindung von Theoretikern wie Friedrich Schlegel ist allerdings praktisch kaum wirksam geworden. "Ironie" in Schumanns Sprachgebrauch näherte sich dann de facto doch stark Heines Ironie-Begriff an.

Tatsächlich stand ihm ein gut gefülltes Arsenal musikalischer Ironiesignale zur Verfügung, die er als Pendant zu Heines Wort-Ironie auch lustvoll einsetzte: Da wird etwa der Volksliedton durch Übertreibung schal; da wird ein Ländler in fast schon Mahlerscher Manier verzerrt.

Freilich sollte man auf der Suche nach Ironie die Kirche im Dorf lassen - bei Heine wie bei Schumann. "Ein Jüngling liebt ein Mädchen" beschreibt die Grunderfahrung verschmähter Liebe, der der schnoddrige Ton nichts von ihrer Schwärze nimmt. Schumann - stets bemüht, den Text von einer Grundstimmung her zu erfassen - findet für die "alte Geschichte" das Tonsymbol einer stets wiederholten trivialen Bettelkadenz des Klaviers. Besonders ironisch ist das nicht, sondern ziemlich traurig. Auch heute noch.